Jedes Jahr passieren mehr als 12.000 Schiffe den Panamakanal: die Passage, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Wir sind heute eines dieser Schiffe. Weil die Astor ein Passagierschiff ist, hat sie tendenziell Vorrang gegenüber Containerschiffen. Um direkt zu Anfang Klarheit zu schaffen, welcher Ozean nun höher liegt und ob es nach unten oder oben geht: Die Antwort ist nicht ganz einfach. Grundsätzlich liegt der Atlantik an dieser Stelle circa 20 Zentimeter tiefer als der Pazifik, wobei der Pazifik an dieser Stelle Gezeiten aufweist. Aber das eigentliche Problem ist, dass das Land dazwischen deutlich höher liegt. Also egal von welcher Seite die Schiffe auch kommen: Sie müssen im Prinzip auf einen Berg fahren und wieder hinunter. Vom Atlantik aus gesehen geht es 26 Meter hinauf, neun Meter hinunter und dann noch mal hinunter auf den jeweiligen Meeresspiegel des Pazifiks.
Wir beginnen morgens früh gegen 7 Uhr die Einfahrt in den Panama-Kanal. Bei der Stadt Colon geht es hinein. Die ersten Schleusen heißen Gatun. Auf dem Gebäude steht 1913, damals wurde das Schleusengebäude fertig gestellt. Das erste Schiff konnte den Kanal am 15. August 1914 passieren. Wir hatten natürlich schon häufiger vom Panamakanal gehört, ist sie doch wirtschaftlich so immens bedeutend, weil sie die 12.600 Kilometer lange Fahrt um Kap Hoorn überflüssig macht. Dass der Panamakanal jedoch aus mehreren Schleusen und einem See besteht und dass Züge dabei eine große Rolle spielen, wird uns erst jetzt klar. Zu einer der ersten Arbeitsschritte bei der Einfahrt zählt das Festmachen des Schiffes an seitlichen Lokomotiven. Auf jeder Schleusenseite stehen mehrere Lokomotiven, die das Schiff nicht nur teilweise ziehen, sondern hauptsächlich stabil in der Spur halten. Der Spitzname „Muli“ für die Lokomotiven erinnert daran, dass früher hierfür tatsächlich Tiere benutzt wurden. Unser Schiff hat rechts und links in der Schleuse noch ein wenig Platz. Ein großes Containerschiff der so genannten Panamax-Klasse passt dagegen gerade so in die Kammer. Panamax bedeutet, dass dies die maximal zulässige Größe für die Schleusen ist: Ein Schiff darf demnach maximal 294,30 Meter lang sein, 32,31 Meter breit und einen Tiefgang von 12 Metern haben. Größere Schiffe bezeichnet man als Post-Panamax.
Kurz vor uns ist ein anderes Kreuzfahrtschiff in die Neben-Schleusenkammer gekommen. Peaceboat heißt es. Oben an Deck stehen viele Asiaten und winken uns freudig zu. Bei uns spricht der Lektor über Lautsprecheranlage über Zahlen und Fakten des Panama-Kanals, vom Peaceboat ertönt dazu laute Popmusik. In den Gatun-Schleusen geht es für uns 26 Meter hinauf bis zum Gatun-See. Dieser See wurde auch künstlich angestaut und wir können rechterhand noch den Staudamm sehen. Kurz vor der Schleuse warten einige Schiffe, die vom Pazifik aus die letzte Schleuse bis zum Atlantik passieren möchten. Nur in dieser Richtung fahren die großen Schiffe nur nachts.
Über die Schleusen hinaus sehen wir rechts und links nur Urwald. Wir erahnen, welche Arbeitsbedingungen hier einst beim Bau vorherrschten. Interessant: Zahlreiche Raubvögel kreisen am Rande des Urwalds, ein Genuss für Hobby-Ornithologen. Dass die Ränder des Kanals bewachsen bleiben, hat übrigens auch einen konkreten Zweck: Die Bäume halten den Boden stabil vor Erosion. Denn jetzt schon ist es ein großes Problem, dass Erdrutsche den Kanal zuschütten. Immer wieder muss er ausgebaggert werden. Auf dem Weg durch den Gatun-See sehen wir auch immer wieder riesige Schwimm-Bagger. Im Gatun-See fahren wir insgesamt 44 Kilometer, das ist etwas über die Hälfte der gesamten Strecke. Am Eingang zum See warten schon viele Containerschiffe, dass sie am späten Abend die letzte Schleuse passieren können. Sie hatten die Durchfahrt wohl nicht mehr rechtzeitig geschafft bzw. haben keinen Platz zugewiesen bekommen. Eine Durchfahrt kostet übrigens im Schnitt 54.000 Dollar – wobei sich die tatsächlichen Kosten nach dem Gewicht richten. Ein Mensch, der mal zum Spaß den Kanal durchschwommen hat, bezahlte nur einen symbolischen Centbetrag.
Auf dem Gatun-See fühlen wir uns wie auf dem Amazonas. Dschungel, braunes Wasser und auch einige lästige Insekten. Zum Glück kommen wir an diesem Tag aber ohne Stich davon, vielleicht auch dank des Anti-Mücken-Mitteln, das wir aufgetragen hatten. So gelangen wir sicher zum so genannten Gaillard-Cut, der engsten Stelle des Panama-Kanals. Insgesamt waren für die Felsensprengungen über 273.000 Tonnen Dynamit vonnöten, ein Großteil ging für diese Stelle drauf. Hier sieht man auch heute noch die zwei massiven Felsen rechts und links, in die eine Schneise gesprengt wurde. Und genau diese Stelle möchte die Kanalgesellschaft noch erweitern, weil große Schiffe dort nicht aneinander vorbeifahren können. Wir sehen die Arbeiten: Mehrere Bagger, die spektakulär ihre großen Schaufel ins Wasser am Kanalrand schmeißen, eine Wasserfontäne aufwirbeln und dann nasses Erdreich und Gestein in große Kipper verfrachten. Bei unserer Vorbeifahrt hupen uns die Lkw freudig zu. Ein Kreuzfahrtschiff kommt schließlich hier nicht so häufig vorbei wie ein eintöniges Cargoschiff. Über den Gaillard-Cut spannt sich eine große Hängebrücke, was unsere Durchfahrt wiederum reicher an Eindrücken macht.
Der nächste Schritt für uns sind die Pedro-Miguel-Schleusen, die uns wieder neun Meter nach unten bringen. Wir verbringen von Einfahrt bis Ausfahrt wieder gut eine Stunde in den Kammern. Dann erreichen wir den zweiten künstlichen See, den Miraflores-See. Eine Yacht kommt uns entgegen, der Besitzer darf wohl aufgrund der geringen Schiffsgröße auch tagsüber von der Pazifikseite Richtung Atlantik fahren. Der Besitzer thront auf dem Deck, währen ein Bediensteter die weiße Luxusyacht an uns vorbei steuert. Das gesamte Treiben auf dem Kanal lässt sich tatsächlich am besten von einem Kreuzfahrtschiff beobachten, weil dabei eine Art Fluss-Kreuzfahrt mit einem Schiffssightseeing kombiniert wird. Das genießen wir sehr. Einen anderen Blick bietet die Besucherplattform im Besucherzentrum bei den Miraflores-Schleusen, den letzten Schleusenkammern. Das offene Dach des Gebäudes ist doppelt so hoch wie unser Schiff – und oben tummeln sich Menschen, um verschiedenste Schiffe beim Schleusen zu beobachten.
Hier werden wir erneut hinuntergelassen, noch einmal um so viele Meter, wie der aktuelle Gezeitenspiegel des Pazifiks gerade steht. Als sich die Schleusentore öffnen, kommt uns eine andere Wasserfarbe entgegen. Und je mehr wir Richtung offenes Meer fahren, desto grüner wird das Wasser. Wir fahren unter der Bridge of Americas hindurch, einer großen Autobrücke. Und als wenn der Tag nicht schon erlebnisreich genug gewesen wäre, erhalten wir noch einen unerwarteten Nachschlag. Bei der Ausfahrt aus den Kanalausläufern tauchen hinter dem Dschungel die Hochhäuser von Panama City auf. Riesige Wolkenkratzer, die eine beeindruckende Skyline bilden. Im Vordergrund der dichte Urwald, der in der Abenddämmerung schon etwas dunkler erscheint, im Hintergrund die von den letzten Sonnenstrahlen deutlich angestrahlte Metropole. Je weiter wir Richtung Pazifik-Beginn kommen, desto offenen wird der Blick auf die Stadt. Und schließlich sehen wir die Skyline in ihrer vollen Pracht, und alles beginnt so ziemlich auf der Höhe des Meeresspiegels. So ähnlich muss die Aussicht sein, wenn man mit einem Kreuzfahrtschiff New York anläuft. Dass Panamas Hauptstadt groß ist, wussten wir. Aber dass hier auch so noble und geldschwere Bürotürme stehen, hätten wir nicht erwartet. Jetzt wissen wir, wo das Geld aus dem Panamakanal wohl hin fließt. Und können die Kritik verstehen, nach der bei der Bevölkerung davon nichts ankommt.
Panama-Kanal. Die Idee einer Kanalverbindung zwischen Atlantik und Pazifik taucht bereits im 16. Jahrhundert auf. 1880 hat der Erbauer des Suez-Kanals, Ferdinand de Lesseps, die Idee, einen Kanal auf Meeresspiegelhöhe zu bauen. Dafür wären umfangreiche Sprengungen nötig. 1882 beginnt eine französische Gesellschaft mit dem Bau. Doch die Franzosen bringen das Projekt nur bis zum Kilometer 28, denn 22.000 Arbeiter sterben im tropischen Moskito-Gebiet an Malaria oder Gelbfieber. Schlangen, Spinnen und Skorpione erschweren die Arbeiten zusätzlich. Bis zur endgültigen Fertigstellung sollen es sogar 28.000 sein. Schließlich sind auch nicht mehr genügen finanzielle Mittel übrig. 1903 unterzeichnen Panama und die USA einen Vertrag, nach dem die Vereinigten Staaten Hoheitsrecht für den 16 Kilometer langen Landstrich erhalten – für alle Zeiten. Die USA hatten Panama im Unabhängigkeitskampf unterstützt. Die US-Amerikaner rotten zuerst die Moskitos aus. Innerhalb von zehn Jahren entsteht nun der Panama-Kanal, dabei sind gleichzeitig im Schnitt 35.000 Arbeiter beschäftigt, 70.000 sollen es insgesamt gewesen sein. Kosten: Über 380 Millionen Dollar. Am 15. August 1914 kann das erste Schiff den Kanal passieren. Insgesamt ist der Kanal 81,6 Kilometer lang. 1977 unterzeichnen die USA und Panama einen neuen Vertrag, nach dem Panama ab dem Jahr 2000 das Gebiet zurück erhält. Seitdem ist Panama für den Kanal zuständig. Derzeit umfasst der Panama-Kanal zwölf Schleusenkammern (sechs mal zwei parallel), eine davon braucht über 100.000 Kubikmeter Wasser. In jeder Kammer halten sich die Schiffe in der Regel acht Minuten auf. Eine Schleusenkammer ist 305 Meter lang, 33,5 Meter breit und 26 Meter tief. 2006 spricht sich eine 80-prozentige Mehrheit der Wähler für einen Ausbau des Kanals aus. Dabei sollen neue Schleusen entstehen, die mit 55 Metern breite und 427 Metern Länge auch größere Schiffe fassen können. Seit 2007 laufen die Arbeiten, sie sollen bis 2015 dauern.
Panama. 1821 wurde Panama als Teil Kolumbiens unabhängig von Spanien, 1903 unabhängig von Kolumbien. Landessprache ist Spanisch. Deutschland ist ein großer Abnehmer von Bananen aus Panama. Die deutsche Firma Bilfinger & Berge baute die zweite Kanalbrücke „Centario“ (von Atlantik-Seite her die erste Brücke). Adidas, BMW und Grünenthal nutzen Panama als Lateinamerika-Zentrum. Panama wiederum importiert Fahrzeuge und chemische Produkte aus Deutschland. Die derzeitige Bevölkerungszahl Panamas beträgt 3,4 Millionen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei unter zehn Prozent, Panama hat seit Jahren ein stabiles Wirtschaftswachstum. Unter anderem der Kanalausbau begünstigt neue Investitionen ausländischer Firmen, so viel wie in keinem anderen zentralamerikanischen Land. Das Auswärtige Amt warnt vor Gewalttaten insbesondere in Panama City (1,5 Millionen Einwohner). Die Analphabetenrate liegt bei unter zehn Prozent.
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