Schon morgens früh um 5.30 Uhr fährt MS Astor in den Suez-Kanal ein. Dieser ist einer der wichtigsten Welthandelswege. Durch den Kanal, der Afrika und Asien trennt und das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, fahren jährlich 15.000 Schiffe. Um den Seeweg von Europa nach Asien abzukürzen, passieren 14 Prozent aller Frachtschiffe den ägyptischen Kanal.
Die Strecke von Singapur nach Rotterdam wäre rund um Afrika zum Beispiel fast 12.000 Kilometer lang, durch den Suez-Kanal nur etwas über 8.000 Kilometer – eine Ersparnis von einem Drittel. Der Kanal selbst hat eine Länge von fast 200 Kilometern, von Port Said im Norden bis nach Suez im Süden. Besonders wichtig ist der Kanal für die Ölversorgung in Europa. Jeden Tag passieren 2 bis 3,5 Millionen Barrel den Kanal, so viel wie der Tagesverbrauch Deutschlands.
Unser Kreuzfahrtschiff führt ab Suez einen Konvoi von 20 Schiffen an. Die Schiffe fahren hintereinander in eine Richtung, denn auf einem Großteil der Strecke hat der Kanal nur eine Fahrrinne. Von Suez nach Norden startet ein Konvoi am frühen Morgen, von Port Said in Richtung Süden fahren täglich zwei Konvois ab. Es gibt zwei Stellen im Kanal, die Bitterseen und eine Verbreiterung zwischen El Kantara und Ismailia, an denen die entgegenkommenden Schiffe einander ausweichen können.
Im großen Bittersee machen wir morgens eine erste Pause. Hier sammeln sich alle Schiffe unseres Verbundes, damit der Konvoi aus Norden an uns vorbeifahren kann. Dann schlängelt sich MS Astor weiter auf dem schmalen Wasserweg mitten durch die Wüste. Links und rechts von uns herrscht absolute Trockenheit. Sandhügel türmen sich auf. Am Ufer sehen wir hier und da kleine Häuschen oder bewässerte Felder, ansonsten Dürre. Der Kontrast des strahlend gelben Wüstensands zum Blau des Wasser und des Himmels ist ein einzigartiger Eindruck. Das gleißende Licht der Sonne lässt die Farben der Landschaft besonders intensiv erscheinen.
Wir verbringen den ganzen Morgen auf den Außendecks. Immer wieder bieten sich neue Eindrücke. Kurz vor Mittag gleiten wir an der Stadt Ismailia vorbei. Danach wird es langsam grüner zu unserer Linken, denn die Ausläufer des Nildeltas reichen bis hierher und machen das Land fruchtbar. Zu unserer Rechten herrscht weiterhin Trockenheit.
Wegen einer kleinen Neben-Fahrspur, auf der Schiffe warten, sieht es so aus, als wenn die Schiffe hier mitten in der Wüste stehen. Von unserem Schiff aus bietet sich dieser einzigartige Anblick. Ein voll beladenes Containerschiff, das scheinbar mitten in der Wüste versunken ist. Aber die frisch beladenen Container verraten natürlich, dass dieses Schiff noch seetüchtig ist und dass es für uns unsichtbar im Wasser schwimmt.
Nach zehn Stunden Fahrzeit erreicht MS Astor das Mittelmeer, die Badewanne Europas. Heute herrscht hier ein frischer Wind. Die Passage hat die Reederei 172.000 US Dollar gekostet. Das ist relativ günstig, schwer beladene Frachtschiffe oder Kriegsschiffe zahlen deutlich mehr. Die Gebühren berechnen die Kanalbehörden anhand einer Tabelle, der „Suez Canal Net Tonnage“, die Schiffe nach Klasse und Bruttoregistertonnen einpreist. Die Kanalgebühren sind eine wichtige Einnahmequelle für Ägypten. Das Land nimmt mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr dank der Wasserstraße ein. Im Jahr 2008 verzeichneten die Ägypter sogar Einnahmen von 5,3 Milliarden Dollar, von insgesamt 21.415 Schiffen – also im Schnitt gut 247.000 Dollar pro Schiff.
Suezkanal. Schon im 13. Jahrhundert v. Chr. begannen erste Arbeiten an einem Kanal, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbinden sollte. Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer wieder unterschiedliche Wege freigelegt oder ausgebaut, aber die Bemühungen, den Kanal in einem guten Zustand zu erhalten, hatte man im 8. Jahrhundert aufgegeben. Bis 1854 ein französischer Diplomat das Interesse der Ägypter für ein erneutes Kanalprojekt gewann. 1858 wurde die Suez-Gesellschaft gegründet, ein privates ägyptisches Unternehmen mit französischen Investoren, die den Kanal anlegte und eine Konzession für 99 Jahre erhielt. Heute gehört der Kanal der ägyptischen Regierung. Die Arbeiten am Kanal begannen im Jahr 1859. 10 Jahre später wurde er für die Schifffahrt geöffnet. Die Gesamtkosten betrugen 65 Millionen britische Pfund (heutiger Wert). Der ursprüngliche Kanal hatte an der Sohle eine Breite von 22 Metern und an der Wasseroberfläche von 58 Metern. Der Tiefgang betrug 8 Meter. Heute ist der Kanal über 15 Meter tief und zwischen 200 und 300 Metern breit, je nach Position.