Inbegriff für den heutigen Kreuzfahrtmarkt sind die Ozeanriesen. Mit modernstem Standard, umfangreichem Unterhaltungsangebot und oft mehr als 1.000 Kabinen an Bord sind sie große Hotels auf See. Auch wenn es Jahr für Jahr immer weniger werden, gibt es sie noch, die anderen Schiffe, die die klassische Form der Kreuzfahrt repräsentieren. Dazu zählt MS Astor, die 1987 erstmals in See stach. Auf einer Island-Kreuzfahrt mit dem klassischen Kreuzfahrtschiff haben wir herausgefunden, warum auch die Oldtimer unter den Ozeankreuzern bei Seereise-Liebhabern hoch im Kurs stehen.
Während die großen, neuen Kreuzfahrtschiffe sich teilweise kaum von einem Club-Hotel auf dem Land unterscheiden, fühlt man auf einem klassischen Kreuzfahrtschiff wie der Astor, dass man auf einem Schiff unterwegs ist. Die Reling ist noch aus Metall und Holz, auf dem Bootsdeck kann man die Rettungsboote fast anfassen und man sitzt zwischen Tauen und Seilwinden immer nah am Meer.
Die Kreuzfahrtschiffe, die in den 1980er und 90ern gebaut wurden, sind noch nicht so groß und hoch ausgefallen, so dass man schlichtweg von der Höhe einfach näher am Wasser sitzt. Außerdem ist die Reling noch nicht mit Glasscheiben verkleidet – ein beliebter Trend im modernen Schiffsbau. Konkret erleben wir durch die Nähe zum Meer auf MS Astor auf dieser Island-Kreuzfahrt viele Momente, die man mit einem großen Kreuzfahrtschiff so nicht hätte – mehrere Walsichtungen auf dem Nordatlantik und rund um Island zum Beispiel. Natürlich kann man auch von einem großen Schiff aus Wale sehen, aber man schaut vielleicht nicht so häufig aufs Wasser und ist auch weiter entfernt.
Weiterhin haben die älteren Schiffe zumeist noch mehr Platz auf den Außendecks pro Passagier, da ihnen bis auf Ausnahmen die heute fast obligatorischen Balkonkabinen fehlen. Neue Kreuzfahrtschiffe baut man fast ausnahmslos mit möglichst vielen Balkonkabinen, so dass jeder seinen eigenen Sonnen- oder Schattenplatz hat und nicht mehr auf die öffentlichen Bereiche ausweichen muss.
Und das ist ein zentraler Unterschied: Auf einem klassischen Kreuzfahrtschiff trifft man sich eher mit den Mitreisenden in den öffentlichen Bereichen und tauscht sich aus. Es entsteht das Gefühl, auf einer großen Jacht in familiärer Atmosphäre zu reisen.
Auf den modernen Schiffen kann man, wenn man möchte, sich zurückziehen, und trotzdem an der frischen Luft den Blick auf das Meer genießen. Viele Passagiere auf der Astor kennen sich und schätzen daher die Begegnungen – sei es am Büffet oder auf dem Sonnendeck. Dies mögen auch die Stammgäste Anke und Hans-Jürgen Hanenkamp. Die Norddeutschen sind schon seit Jahren immer wieder mit ihrem Lieblingsschiff Astor unterwegs. „Auch auf großen Schiffen lernt man nette Leute kennen. Doch wenn man Pech hat, trifft man diese nie wieder“, meint Hans-Jürgen Hanenkamp. Auf der Astor mit ihren ca. 500 Passagieren trifft man alte Bekannte von vorherigen Reisen oder kommt schnell ins Gespräch und kann Erfahrungen von gemeinsamen Landausflügen austauschen.
Ähnliches gilt auch für die Crew, denn auch die Besatzung kennt die Passagiere und ihre individuellen Vorlieben – und umgekehrt. So treffen Stammgäste auch ihre Lieblingskellner wieder oder ihren favorisierten Kreuzfahrtdirektor und Hotelmanager. So entsteht eine familiäre und herzliche Atmosphäre an Bord. Das schätzt auch Astor-Kreuzfahrtdirektor Florian Herzfeld. Der weit gereiste und stets gut gelaunte Unterhaltungs-Chef an Bord liebt besonders die kleinen, klassischen Kreuzfahrtschiffe. Auf einem Schiff mit mehreren Tausend Passagieren zu arbeiten, kann er sich nicht vorstellen: „Hier kann ich mir noch Zeit für die Gäste nehmen, diese Persönlichkeit ist mir wichtiger.“
So trifft man den Kreuzfahrtdirektor oder sogar den Kapitän regelmäßig im Büffet-Restaurant zum Essen oder auch mal an der Bar – ohne Alkohol für die Crew, versteht sich. Dieselbe Regel gilt auch für das Frühshoppen, eine weitere Institution einer klassischen Kreuzfahrt mit Bier und Brezeln. Dort stößt der Kapitän persönlich mit den Gästen an. Das Bier fließt trotzdem in Strömen, und zwar das Freibier für die Gäste. Zu den weiteren Bord-Highlights einer klassischen Kreuzfahrt zählt auch die Polartaufe oder Äquatortaufe – je nach Fahrtgebiet. Solche Highlights im Tagesprogramm und wichtige Informationen wie die aktuelle Schiffsposition werden vom Kreuzfahrtdirektor täglich durchgesagt – auch so ein Habitus, der die Verbindung von Crew, Passagieren und auch untereinander stärkt. Man sitzt eben in einem Boot. Auf einer Island-Kreuzfahrt mit MS Astor gilt das natürlich für den Nordpolarkreis. Neptun kommt mit seinem gruseligen Gefolge an Bord und übergibt dem Kapitän seinen Schlüssel zum Nordmeer. Und die Passagiere küssen einen toten Fisch.
Balkonkabine versus öffentliches Außendeck, moderner Motor versus vibrierende Maschine, Anonymität versus Persönlichkeit, Modernität versus Nostalgie – so stehen sich die moderne und die klassische Kreuzfahrt gegenüber. Pauschal kann man nicht sagen, was die schönere Kreuzfahrt ist. Zwar haben die klassischen Kreuzfahrtschiffe tendenziell eine ältere Kundschaft, aber vorwiegend auch deswegen, weil diese die Schiffe schon lange kennt und schätzt. Eine klassische Kreuzfahrt kann genauso für jüngere und auch Familien geeignet sein. Hier gibt es kurze Laufwege und man kann seinen Urlaub leicht gemeinsam gestalten – oder seine Kinder schnell wiederfinden, allerdings nicht im Kids-Club, denn den gibt es nicht.
In jedem Fall ist die klassische Kreuzfahrt etwas für Schiffskenner, Schiffsliebhaber und für diejenigen, die immer wieder auf ihre Freunde aus Crew und Passagieren treffen möchten. MS Astor ist eines des wenigen klassischen Kreuzfahrtschiffe, das auch noch für deutsche Gäste auf den Weltmeeren unterwegs ist. Viele andere, wie MS Deutschland, die Delphin oder das Schwesterschiff der Astor, die Astoria, sind ökonomisch bereits in unsicheres Fahrwasser geraten. Denn ein kleines Schiff für wenige Passagiere fahren zu lassen ist nun mal ungleich teurer als ein modernes, weniger treibstoffintensives Schiff mit vielen Menschen an Bord zu betreiben. Somit punktet eine Kreuzfahrt auf einem kleinen, klassischen Kreuzfahrtschiff auch mit einem: Exklusivität. Und getreu dieses Mottos werden wir, wie jeder einzelne Gast, am Ende der Reise auch persönlich von Kreuzfahrtdirektor Florian Herzfeld per Handschlag und mit guten Wünschen verabschiedet.
Lese hier auch unser Schiffsportrait über MS Astor.